Denise Kühn-Rittirsch zeigt uns, wie ESG, M&A, KI-Regulierung und globale Erfahrungen den Karriereweg einer Syndikusrechtsanwältin prägen
Als Syndikusrechtsanwältin bei STIHL bin ich schwerpunktmäßig in den Bereichen ESG, M&A, Venture Capital und (internationales) Gesellschaftsrecht tätig, seit neuestem auch in den Bereichen Künstliche Intelligenz und ich unterstütze das Legal Tech Team bei der Implementierung digitalisierter Tools aus Sicht des Berufsträgers.
Mein Arbeitsalltag im ESG-Bereich ist derzeit stark von der Beobachtung weltweiter politischer Entwicklungen geprägt: Wie entwickelt sich die regulatorische ESG-Landschaft weiter? Welche Gesetze werden geändert, neu erlassen oder zurückgenommen? Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen und auch geopolitische Spannungen auf STIHL als internationalen Konzern? Besonders wichtig ist hierbei auch die Schnittstelle zum Vertragsrecht, (Wirtschafts-)Strafrecht und teilweise Außenwirtschaftsrecht, da Compliance-Verstöße im ESG-Bereich zunehmend mit empfindlichen staatlichen, aber auch vertraglichen Sanktionen belegt werden und insbesondere grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen besondere rechtliche Sorgfalt erfordern.
Die Bereiche M&A und Venture Capital sind klassisches „Projektgeschäft“. Das bedeutet: Projekte kommen und gehen – manchmal überraschend, manchmal mit Vorankündigung, sodass ich mein Arbeitspensum entsprechend planen kann. Größere M&A- oder VC-Transaktionen führen häufig dazu, dass das reguläre Rechtsberatungsgeschäft für einen gewissen Zeitraum nahezu ruht.
Daneben nimmt die Umsetzung des europäischen AI-Acts derzeit Fahrt auf. Aktuell liegt der Schwerpunkt in der Erstellung eines KI-Katasters zur Vorbereitung der Implementierung eines KI-Managementsystems sowie die Schulung der Mitarbeiter im Umgang mit KI. Ich finde mich auch im Bereich ESG gelegentlich in Terminen mit Produktentwicklung und -zulassung wieder (ESG strahlt zunehmend auch in die Product Compliance hinein), nun kommt auch noch die IT dazu. Eine spannende Entwicklung für mich, als gewöhnliche Juristin – ohne technischen Background.
An der Inhouse-Rolle reizt mich, im Unterschied zur Tätigkeit in einer Kanzlei (die ich übrigens auch sehr geschätzt habe!), dass ich dauerhaft Teil des Unternehmens sein kann. Gerade bei M&A- und VC-Transaktionen begleite ich den gesamten Prozess – von den strategischen Vorüberlegungen in der Anbahnungsphase bis hin zur Post-Merger-Integration. Zudem habe ich schon früh in meiner Karriere (während des Studiums) erkannt, dass ich gerne in einem internationalen Umfeld arbeite. Die interkulturellen Erfahrungen empfinde ich sowohl fachlich als auch persönlich als außerordentlich bereichernd.
Bei meinem vorherigen Arbeitgeber hatte ich die Aufgabe, die US-Rechtsberatung neu aufzubauen bzw. strategisch neu auszurichten. Im Rahmen dieser Tätigkeit erhielt ich die großartige Möglichkeit, ein Secondment bei unserer kooperierenden Kanzlei in Chicago zu absolvieren – eine Chance, für die ich sowohl meinem ehemaligen Arbeitgeber als auch der amerikanischen Kanzlei sehr dankbar bin.
Diese internationale Erfahrung hat mich sowohl persönlich als auch fachlich außerordentlich bereichert und geprägt. Ich bin durch diese Zeit noch stärker zur Transatlantikerin geworden (weshalb mich die gegenwärtige politische Lage zwischen Europa und den USA besonders schmerzt) und habe ein sehr gutes Verständnis für das US-Recht und dessen Prinzipien entwickelt. Besonders wertvoll waren die Einblicke in die kulturellen Unterschiede, vor allem im Bereich der Vertragsverhandlungen und der Bedeutung rechtlicher Vereinbarungen.
Besonders spannend: Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass Amerikaner „ticken“ wie wir Europäer bzw. Deutschen, nur weil sie äußerlich ähnlich aussehen; bei Asiaten ist uns, so zumindest meine Erfahrung, allein aufgrund des Aussehens klar, dass es kulturelle Unterschiede gibt bzw. fast zwangsläufig geben muss. Die kulturellen und rechtlichen Unterschiede zwischen Deutschland / Europa und den USA sind aber tatsächlich enorm. Diese Erkenntnis hat meinen weiteren beruflichen Werdegang und meine Beratungspraxis nachhaltig geprägt und ist in meiner täglichen Arbeit im internationalen Umfeld von unschätzbarem Wert. Die vielfältigen Erfahrungen haben mir ein breites Spektrum an praktischen Kenntnissen vermittelt, die mir heute bei komplexen grenzüberschreitenden Projekten zugutekommen.
Bereits sehr früh war mir bewusst, dass ich international arbeiten und im Ausland Berufs- und Lebenserfahrung sammeln möchte. Aus diesem Grund – und inspiriert durch meinen ersten Chef im Rahmen meiner Werkstudententätigkeit – stand für mich fest, einen LL.M. im Ausland zu erwerben. An die De Montfort University in Großbritannien bin ich über meine damalige Universität gekommen. In der engeren Auswahl stand auch ein LL.M.-Programm in den USA. Zugegebenermaßen haben letztendlich die deutlich moderateren Studiengebühren und meine Verbundenheit zur EU und Großbritannien (damals noch Teil der EU) den Ausschlag gegeben, den LL.M. in UK zu absolvieren.
Diese Erfahrung hat mir sowohl beruflich als auch persönlich enorm viel gebracht. Fachlich konnte ich meine Kenntnisse im internationalen Recht vertiefen (wobei ich bis heute nicht weiß, ob ich meinen schottischen Professor jemals richtig verstanden habe – was aber den englischsprachigen Studenten genau so ging J) und eine angesehene Zusatzqualifikation erwerben, die auf dem globalen Arbeitsmarkt sehr geschätzt wird. Persönlich hat mich der Aufenthalt im Ausland in meiner interkulturellen Kompetenz und Anpassungsfähigkeit gestärkt. Die De Montfort University ist eine sehr internationale Universität; die Begegnung mit Studierenden und Professoren aus sehr vielen verschiedenen Rechts- und Kulturkreisen (v.a. auch Indien und Asien) hat meinen Horizont enorm erweitert, wovon ich bis heute in meiner täglichen Arbeit profitiere.
Ja, es gab tatsächlich einige prägende Momente auf meinem Karriereweg: Bereits mein erstes Pflichtpraktikum im Studium, das ich nach dem ersten Semester in der Rechtsabteilung eines Unternehmens absolvierte, war richtungsweisend. Obwohl mir schon vor diesem Praktikum klar war, dass ich „irgendwas mit Wirtschaft“ machen möchte, war meine Vorstellung damals noch sehr diffus und sehr eng mit der Vorstellung der Staatsanwältin oder Richterin im Bereich Wirtschaftsstrafrecht verknüpft. Aus heutiger Sicht also eine Tätigkeit bei der Gegenseite J
Die sich an das Pflichtpraktikum anschließende zweijährige Tätigkeit als Werkstudentin in derselben Rechtsabteilung war dann ausschlaggebend für das, was folgte: Für mich stand fest, dass ich später einmal in einer Inhouse-Position arbeiten möchte, vorzugsweise in den Bereichen M&A, Venture Capital, Private Equity, Gesellschaftsrecht und Wirtschaftsstrafrecht – und einen LL.M. im Ausland erwerbe.
Mein späterer sehr wertvoller Berufseinstieg in einer Kanzlei (was ich jeder angehenden Kollegin nur empfehlen kann) hat mich in der Wahl der Rechtsgebiete weiter bestärkt und die Arbeitsweise in der Kanzlei prägt bis heute meinen Beratungsansatz. Was ich auch sagen kann: Bis heute ist eine Affinität zum Wirtschaftsstrafrecht im weitesten Sinne und zur Compliance erhalten geblieben, weswegen es mich sehr freut, dass ich mich nun auch in diesem Bereich im Rahmen eines Projektes engagieren kann.
Was ich jungen Juristinnen mit internationalen Karriereambitionen raten würde?
Aus eigener Erfahrung kann ich Praktika (ganz allgemein, vor allem aber) im Ausland sehr empfehlen – ich selbst habe während meines Studiums wertvolle Erfahrungen u.a. in Südafrika gesammelt, die mir einen, wie ich heute weiß, tollen Einstieg ins internationale Umfeld ermöglicht und mich kulturell und persönlich stark geprägt und „vorangebracht“ haben.
Ein internationaler LL.M. ist aus meiner Sicht fachlich eine ausgezeichnete Möglichkeit, um Fachexpertise zu erwerben. Je nach angestrebter Karriererichtung würde ich jungen Juristinnen durchaus auch nahelegen, ein Grundstudium im Ausland zu absolvieren. Auch das Erlangen einer ausländischen Anwaltszulassung kann vorteilhaft sein – ein Schritt, den ich selbst (leider) zugunsten eines schnelleren Berufseinstiegs in Deutschland ausgelassen habe.
Zudem würde ich ermutigen, sich gezielt auf Positionen in international ausgerichteten Kanzleien oder Unternehmen zu bewerben, auch wenn die internationale Komponente anfangs vielleicht nicht im Vordergrund steht.
Denise Kühn-Rittirsch, LL.M., ist Syndikusrechtsanwältin bei der Andreas STIHL AG & Co. KG und dort in den Bereichen ESG, M&A, Venture Capital, Gesellschaftsrecht sowie KI-Regulierung und Legal Tech tätig. Zuvor war sie als Associate im Bereich Corporate/M&A tätig. Ihren internationalen Schwerpunkt hat sie durch einen LL.M. im Vereinigten Königreich sowie durch berufliche Auslandserfahrung, unter anderem in den USA, entwickelt.