Zwischen Mustern, Newslettern und Legal Design gestaltet Ina Kamps Wissen, das wirkt. Ihr Weg? Nicht geradlinig – aber genau richtig.
Du warst zuerst als Rechtsanwältin und in Folge viele Jahre als Lektorin / Produktmanagerin bei einem renommierten juristischen Fachverlag tätig, bevor du eine Position im Knowledge Management eingenommen hast. Wie kam es dazu?
Eigentlich war es irgendwie Zufall – mit dem Ergebnis, dass ich mit ein paar (äußerst wichtigen) Umwegen zu meinem Traumjob gefunden habe. Und im Rückblick sollte es wohl genau so sein:
Ich hatte nach dem Examen zunächst vier Jahre ganz klassisch als Rechtsanwältin im Gewerblichen Rechtsschutz gearbeitet. Weil ich parallel zu Jura Kommunikationswissenschaft studiert und immer schon gerne mit Büchern zu tun hatte, bin ich in den Verlag gewechselt, um beides zu kombinieren. Das war eine tolle Zeit, in der ich unglaublich viel geschaffen habe (und „nebenbei“ drei Kinder bekommen 😊).
Nach vielen Jahren, in denen ich als Lektorin und Chefredakteurin fremde Texte redigiert und im Verlagsprogramm veröffentlicht habe, kam bei mir allerdings der Wunsch auf, wieder „auf der anderen Seite“ zu stehen, selbst juristisch zu arbeiten und eigene Texte zu verfassen. Der Schritt ins Knowledge Management einer Kanzlei war dann irgendwie logisch: Schon im Verlag habe ich ja Wissen für andere verständlich und zielgerichtet aufbereitet – sei es in Form von Handbüchern, Kommentaren, Zeitschriften oder auch Seminaren. Ich wusste also, worauf es bei der Vermittlung von Wissen ankommt und wie Anwältinnen und Anwälte durch gut aufbereitetes Wissen effizienter arbeiten können. Und dann kam der Zufall mir zu Hilfe: Ich hatte immer noch Kontakt zu ehemaligen Kolleginnen und Kollegen einer Kanzlei, in der ich zu Beginn meiner Berufstätigkeit als Anwältin gearbeitet hatte. Die Kanzlei hatte beschlossen, ein Knowledge Management aufzubauen und suchte jemanden, die/der ihnen dabei hilft. So wurde ich dort Head of Knowledge Management.
Was macht ein „Knowledge Lawyer“ konkret?
Das kann man so ganz allgemein für alle Knowledge Lawyer gar nicht sagen. Die Tätigkeiten sind äußerst vielfältig und hängen zum einen vom Rechtsgebiet ab, in dem man arbeitet, zum anderen von den Wünschen der Anwältinnen und Anwälte, mit denen man zusammenarbeitet und schließlich auch von den individuellen Stärken des Knowledge Lawyers.
Der „Klassiker“ unter den Tätigkeiten ist sicherlich der Aufbau und die Pflege einer Wissensdatenbank, in der hilfreiche Dokumente – Muster, Vorlagen, Beispielsfälle, Aufsätze, Rechtsprechung, Vortragsunterlagen etc. – abgelegt sind. Der nächste Schritt: Die Automatisierung geeigneter Dokumente, sodass man sie mit wenig Aufwand und in kurzer Zeit erstellen kann. Aber nicht in jedem Rechtsgebiet sind Mustervorlagen gleich wichtig und auch in meinem Team ist die Anzahl solcher Musterdokumente je nach Rechtsgebiet äußerst unterschiedlich. Das gleiche gilt für interne Wissens-Hubs z.B. zur Frage, was sich durch ein neues Gesetz alles ändert, Klauselsammlungen etc.
Auch interne Know how-Updates und Schulungen zu aktueller Rechtsprechung, geplanten Gesetzesänderungen oder anderen wichtigen Neuigkeiten gehören sicherlich zum Standard im Knowledge Management. So hält man Kolleginnen und Kollegen auf dem neuesten Stand und spart ihnen Zeit: Sie bekommen die wichtigsten News kompakt zusammengestellt und müssen sich nicht selbst aus unterschiedlichen Quellen informieren.
Eine weitere wichtige Aufgabe eines Knowledge Lawyers ist aus meiner Sicht auch die Vernetzung der Kolleginnen und Kollegen untereinander – auch über unterschiedliche Rechtsgebiete hinweg. Oft wissen die Kolleginnen und Kollegn gar nicht genau, was die anderen genau machen bzw. an welchen Projekten sie konkret arbeiten. Da wir Knowledge Lawyer uns im Team intern austauschen, sehen wir Synergien und Überschneidungen und können Menschen zusammenbringen, die gemeinsam.
Aber Knowledge Management richtet sich nicht nur nach innen. Zumindest meine Tätigkeit ist auch sehr nach außen gerichtet: So betreue ich z.B. unseren Mandantennewsletter, schreibe selbst viel dafür, habe externe Themen-Websites (sog. Info-Hubs) aufgebaut z.B. zum Green Advertising. Hier ist v.a. die Koordination gefragt, es ist ein bisschen Projektmanagement: Themen suchen, Beiträge verteilen, einsammeln, redigieren und mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen wie Business Development und Marketing dafür sorgen, dass der Newsletter rechtzeitig erscheint. Kurz: Alle Beteiligten zusammenbringen, um am Ende ein tolles Produkt zu kreieren. Auch halte ich selbst Vorträge und mache so Werbung für die Kanzlei.
Und schließlich ist es auch oft eine vorgelagerte Mandatsarbeit: Info-Schreiben für Mandanten z.B. über Gesetzesänderungen, die von den Fee Earnern verwendet werden können, Zusammenstellung wichtiger Rechtsprechung als Service für den Mandanten etc.
All das steht unter einer großen Überschrift: Was hilft den Anwältinnen und Anwälten, die Mandate bearbeiten und neue akquirieren, effizienter zu arbeiten?
Ist das Berufsfeld eines Knowledge Lawyers auch für Berufseinsteiger geeignet?
Ich bin persönlich der Überzeugung, dass man zunächst einmal (mindestens) zwei bis drei Jahre selbst als Anwältin bzw. Anwalt gearbeitet haben sollte, bevor man ins Knowledge Management wechselt. Es ist einfach wichtig zu wissen bzw. zu verstehen, wie man als Anwältin, als Anwalt arbeitet, um zielgerichtet unterstützen zu können bzw. „am eigen Leib“ zu erfahren, was in der täglichen Arbeit helfen könnte.
Ausgeschlossen ist es natürlich nicht, als Berufseinsteiger direkt im Knowledge Management anzufangen, aber der Einstieg fällt sicher leichter, wenn man weiß, worauf es ankommt.
Du bist spezialisiert auf Marken- und Wettbewerbsrecht sowie Green Advertising & Green Brands. Sind Knowledge Lawyer stets Experten in bestimmten Rechtsbereichen – oder gibt es auch “Generalisten”?
Wie die beratenden Kolleginnen und Kollegen auch, sind wir absolute Spezialist:innen auf unserem Gebiet. Das ist meines Erachtens auch unerlässlich, denn nur so kann ich die Kolleginnen und Kollegen mit dem Spezialwissen versorgen, das sie benötigen und auf Augenhöhe mit ihnen Rechtsprobleme diskutieren. Ich muss mein Rechtsgebiet wirklich gut beherrschen, um z.B. auf neueste Rechtsprechung hinweisen zu können, die zu Änderungen in einer Vertragsklausel führt, Gesetzgebungsvorhaben auszuwerten etc.
Allerdings gibt es auch übergreifende Themen, um die wir uns im Knowledge Management kümmern und die wir rechtsgebietsübergreifend betreuen. Im Moment ist da das Thema „Einsatz von KI“ natürlich ganz oben auf der Liste.
Knowledge Management ist (noch) nicht in jeder Kanzlei üblich, woran liegt dies deiner Meinung nach? Und: ist dies ein Fehler?
Ja, das ist ganz klar ein Fehler 😊 Der Fehler liegt im Mindset, das man kurz gefasst so zusammenfassen kann: „Eine Anwältin bzw. ein Anwalt, der nicht billt, sondern der uns nur etwas kostet? Das können wir uns nicht leisten.“
Allerdings ist diese Ansicht viel zu kurzsichtig: Ein gutes Knowledge Management bringt so viel, dass es sich relativ schnell auszahlt. Ein einfaches, verallgemeinerungsfähiges Beispiel: Es gibt in der Datenbank, bestenfalls noch automatisiert, das Muster eines Arbeitsvertrags, auf das jede Anwältin, jeder Anwalt zugreifen kann, und das vom Knowledge Lawyer immer auf dem neuesten Stand gehalten wird. Wenn sich jeder Anwalt damit nur zwei Stunden einspart – für die Suche nach einer geeigneten Vorlage, für die Prüfung, ob alles aktuell ist und das Löschen von Informationen aus dem „alten“ Fall, wenn man per copy & paste vorgeht – und das Muster 100 Mal verwendet wird, sind das 200 Stunden, die anderweitig, z.B. für billable Mandatsarbeit genutzt werden können.
Die Teams im Knowledge Management sind besonders bei Frauen beliebt. Woran liegt das?
Na ja, da muss man denke ich ehrlich sein und sagen: Das liegt in erster Linie an der Vereinbarkeit des Jobs mit der Familie. Wir Knowledge Lawyer haben geregelte Arbeitszeiten, können auch relativ unproblematisch in Teilzeit arbeiten und müssen nicht noch zwischen Kind von der Kita abholen und ins Bett bringen eben einen Schriftsatz losschicken. Gleichzeitig können wir aber auf hohem Niveau juristisch arbeiten. Da es in der Mehrheit immer noch Frauen sind, die sich um die Familie kümmern (ja, ich weiß, es gibt inzwischen viele Paare, die sich das aufteilen, aber die Mehrheit ist es eben noch nicht) und es unglaublich viele, sehr gut ausgebildete Juristinnen gibt, ist das einfach ein sehr geeigneter Job. Es ist leider immer noch schwieriger und aufwändiger, als Frau mit Kindern auf dem Partnertrack erfolgreich zu sein, auch, wenn sich schon viel gebessert hat.
Du bist auch ein großer Fan von Legal Design Thinking – was wird darunter verstanden und warum sollte dieses Konzept auch in der Rechtswelt weiter Einzug finden?
Legal Design Thinking ist eine Innovationsmethode, die Recht und Design verbindet. Die Idee dahinter: Designer denken kreativ und nutzerfreundlich – diese Denkweise wird auf den Rechtsbereich übertragen. Das Ziel ist, verständliche und praktische Lösungen zu entwickeln, die sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren.
Legal Design und klassische Rechtsberatung unterscheiden sich in ihrer Herangehensweise bzw. der Perspektive und der Zielsetzung:
Klassische Rechtsberatung konzentriert sich darauf, rechtliche Probleme anhand bestehender Gesetze und Vorschriften zu lösen. Anwälte analysieren Fälle, geben rechtliche Empfehlungen – oft sehr umfangreich und für jeden denkbaren Fall formuliert – und vertreten Mandanten vor Gericht oder in Verhandlungen. Der Fokus liegt auf juristischer Präzision und der Anwendung des geltenden Rechts.
Legal Design hingegen kombiniert Recht mit Designprinzipien, um nutzerfreundliche und verständliche Lösungen zu entwickeln. Es geht nicht nur um die korrekte Anwendung von Gesetzen, sondern darum, rechtliche Prozesse und Dokumente so zu gestalten, dass sie intuitiv, also verständlich, und effizient sind. Der Output: verständlichere Verträge oder AGB, interaktive Rechtsanwendungen oder visuell aufbereitete rechtliche Informationen.
Legal Design ist besonders wertvoll in Bereichen, in denen komplexe rechtliche Inhalte für Laien verständlich gemacht werden müssen, etwa bei Verbraucherschutzthemen oder im Datenschutz. Oft verstehen diejenigen, für die z.B. AGB oder Datenschutzerklärungen gedacht sind, diese nicht, kennen also weder ihre Rechte noch ihre Pflichten. Hier setzt Legal Design an, indem die Dinge einfacher formuliert und visuell ansprechend gestaltet werden, sodass der Nutzer sie versteht.
Ich glaube, dass Legal Design Thinking zukünftig noch viel wichtiger werden wird. Denn auch die Bedürfnisse von Mandanten haben sich gewandelt: Sie erwarten kein 20-seitiges Memo, das auf alle denkbaren Fälle und Möglichkeiten eingeht (und das entsprechend teuer ist!), sondern eine effiziente, verständliche Lösung für ihr Problem, für die auch keine 50 Stunden abgerechnet werden. Der Ansatz, den Nutzer und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen, sollte sich in den Köpfen von Juristinnen und Juristen tief verankern, daher finde ich die Methode so wichtig.
Würdest du sagen, dass sich der Beruf des Knowledge Lawyers auch mit Familienleben gut vereinbaren lässt?
Ja, definitiv! Anders als die operativ tätigen Anwältinnen und Anwälte hat ein Knowledge Lawyer geregelte Arbeitszeiten und in der Regel keine Stundenvorgaben. Natürlich arbeite auch ich mal länger, wenn etwas fertig werden muss. Das ist aber eher die Ausnahme und meine Wochenenden sind frei.
Gibt es ein Projekt, auf das du besonders stolz bist?
Mich haben einige Projekte der vergangenen Jahre sehr glücklich und stolz gemacht, und wenn ich einkonkretes Projekt nennen sollte, dann wäre das wohl die Website für Mandanten zum Thema Green Advertising, die ich von Anfang an konzipiert und umgesetzt habe. Natürlich nicht alleine, sondern zusammen mit tollen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen (Marketing, Website-Team etc.), aber es brauchte eben jemanden, der das Thema inhaltlich versteht und das Ganze koordiniert.
Ganz unabhängig von konkreten Projekten freue ich mich aber v.a. darüber, was meine Arbeit ganz allgemein bewirkt (hat): Ich denke, ich habe es in meinen Jahren als Knowledge Lawyer geschafft, die Wichtigkeit und Bedeutung eines effizienten Knowledge Managements zu vermitteln und zu zeigen, welchen Impact das alles haben kann. Zusammen mit den andere Knowledge Lawyern aus meinem Team haben wir das Knowledge Management tief in der Kanzlei verankert. Die Anwältinnen und Anwälte schätzen unsere Arbeit mittlerweile sehr und begegnen uns auf Augenhöhe. Das war nicht immer so: Oft genug wurden wir gefragt, ob wir denn auch „richtige“ Anwältinnen bzw. Anwälte seien…
Welchen persönlichen Herzens-Tipp hast du für junge Juristinnen?
Ganz wichtig: Vertraut auf eure Fähigkeiten und unterschätzt Euch nicht! Ihr habt das Wissen und die Kompetenz – also steht selbstbewusst hinter euren Entscheidungen!
Habt keine Angst vor Veränderungen! Euer erster Job muss nicht der perfekte sein. Probiert verschiedene Bereiche aus und findet heraus, was euch wirklich liegt und glücklich macht! Ich selbst habe tatsächlich relativ häufig den Job gewechselt und bin vor ein paar Jahren in meinem Traumjob angekommen. Alle Stationen davor haben mir geholfen, diesen Traumjob zu finden. Es tut nicht gut, an etwas festzuhalten, das einem nicht gefällt, aus Angst, es sehe schlecht aus im Lebenslauf. Mir sind die Stationen in meinem Lebenslauf alle in irgendeiner Weise zugute gekommen!
Und schließlich: Bleibt neugierig! Die Rechtswelt verändert sich ständig. Seid offen für neue Entwicklungen wie z.B. das Legal Design Thinking und schaut über den Juristen-Tellerrand hinaus!
Vertraut auf eure Fähigkeiten und unterschätzt Euch nicht! Ihr habt das Wissen und die Kompetenz – also steht selbstbewusst hinter euren Entscheidungen!
Ina Kamps
Ina Kamps ist seit über 20 Jahren als Rechtsanwältin im Bereich Gewerblicher Rechtsschutz tätig. Sie hat neben Jura Kommunikationswissenschaft studiert und war als Anwältin und Lektorin eines Fachverlags tätig, bevor sie ins Knowledge Management gewechselt ist, das sie nicht nur für Kanzleien für unverzichtbar hält.