Schon früh faszinierte Jana Jürgen das Auftreten im Gerichtssaal – inspiriert von TV-Formaten wie Richter Alexander Hold. Der Weg zur Strafverteidigerin begann zwar nicht geplant, wurde aber nach einem prägenden Erlebnis zur Herzensentscheidung. Heute steht sie mit Empathie, Mut und klarem Verstand für ihre Mandanten ein.
Du hast bereits früh den Wunsch verspürt, Jura zu studieren. Gab es etwas, das Dich dazu bewegt hat, Strafverteidigerin zu werden?
Der Wunsch, Jura zu studieren, war tatsächlich schon in meiner Schulzeit präsent. Woher dieser Gedanke genau kam, weiß ich selbst nicht. Zumindest stamme ich nicht aus einer Juristenfamilie und habe es somit auch nicht „vorgelebt“ bekommen.
Was mich jedoch schon früh faszinierte, waren gerichtliche Fernsehsendungen – allen voran „Richter Alexander Hold“. Die Roben, das Auftreten, das Einstehen für andere und das Ergreifen des Wortes, wenn jemand selbst nicht dazu in der Lage ist – all das hat mich tief beeindruckt.
Ich persönlich habe noch nie den Konflikt gescheut, sondern war stets gerne vorne mit dabei, wenn es darum ging, Stellung zu beziehen – insbesondere dann, wenn es um Ungerechtigkeit ging. Und auch bei Diskussionen hatte ich schon immer gerne das letzte Wort. So stand schon ziemlich früh fest: Jura sollte es sein. In welche Fahrwasser ich mich damit begeben würde, war mir zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht im Ansatz klar.
Der Weg in die Strafverteidigung hingegen war zunächst nicht konkret geplant – nicht, weil ich ihn ausgeschlossen hätte, sondern weil ich mir – wie viele Studierende – gar keine so klaren Vorstellungen darüber gemacht hatte, wie genau mein späterer Beruf einmal aussehen sollte. Ich dachte mir immer: erstmal durchkommen. Das Ende war so weit entfernt – und irgendwie hatte man sich auch gar nicht getraut, konkrete Pläne zu schmieden, geschweige denn sie auszusprechen.
Während des Studiums war ich längere Zeit in einer Großkanzlei tätig und habe dort überwiegend im Bereich Mergers & Acquisitions gearbeitet – ein Job, der während des Studiums gut bezahlt war. Zudem hatte ich eine tolle Mentorin, die mich sehr gefördert hat.
Als sich die mündliche Prüfung des zweiten Staatsexamens näherte – und damit auch der Titel ‚Volljuristin‘ in greifbare Nähe rückte –, begann ich, mir erstmals ernsthafte Gedanken über meinen beruflichen Weg zu machen.
M&A war zwar ganz nett, aber in der Großkanzlei-Bubble habe ich mich nie wirklich wohlgefühlt. Wohin also mit mir?
Ausgelöst wurde dieser ganze Prozess durch ein sehr persönliches, einschneidendes Erlebnis, das mich dazu veranlasst hat, vieles infrage zu stellen, was sich in den Jahren zuvor irgendwie „eingeschlichen“ hatte. Ich befand mich zu dieser Zeit in meiner Wahlstation des Referendariats in Miami, lag am Strand – und fragte mich ganz ehrlich, was mir in diesem Studium jemals wirklich Freude bereitet hatte. Die klare Antwort: ein vierwöchiges Praktikum bei einem Strafverteidiger in München.
Da ich jemand bin, der schnell handelt, habe ich nicht lange gezögert: Ich habe seinen Namen gegoogelt und ihm direkt eine E-Mail geschrieben – mit der schlichten Frage, ob er derzeit auf der Suche nach einer Anwältin sei.
Long story short: Angestellte suchte er nicht. Doch beim darauffolgenden Telefonat schlug er mir kurzerhand vor, mich selbstständig zu machen – in München. Ein Büro hätte er schließlich noch frei.
Anfang November 2022 flog ich zurück nach Deutschland und absolvierte meine mündliche Prüfung. Bereits am darauffolgenden Wochenende fuhr ich nach München, um mir das Büro anzusehen – und um herauszufinden, ob die Chemie zwischen uns noch genauso stimmte wie damals. Sie tat es. Vier Wochen später, am 01.01.2023, saß ich mit drei Koffern und einem Rucksack im ICE nach München – bereit für den Start in die Selbstständigkeit.
Rückblickend wirkt das Ganze vielleicht etwas impulsiv, möglicherweise sogar überstürzt. Aber ich bin ein Mensch, der sehr stark auf sein Bauchgefühl hört – und sich davon auch leiten lässt. Diese Entscheidung habe ich bis heute keine Sekunde bereut. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn das Herz die Füße steuert, wird schon alles gut.
Dein beruflicher Werdegang umfasst ein LL.M.-Studium in Glasgow (Schottland). Wie hat diese internationale Erfahrung Deine Sichtweise auf das deutsche Rechtssystem beeinflusst?
Während meines Studiums habe ich ein Jahr in Schottland studiert und meinen Master im Internationalen Recht absolviert. Das hat meinen Blick auf unser deutsches Rechtssystem teilweise verändert.
Ich finde, dass das deutsche Recht durch seine strenge Kodifizierung oft recht starr wirkt. Klar, es gibt Auslegungsspielräume – aber im Grunde bewegt sich alles innerhalb eines sehr strukturierten, dogmatischen Rahmens. Man arbeitet sich am Gesetz entlang, und das gibt meistens den Ton an.
Wenn man dann zum Beispiel auf das schottische Recht schaut, merkt man, dass es auch anders gehen kann. Das dortige System ist ein sogenanntes hybrides Rechtssystem – es verbindet Elemente des Civil Law mit Prinzipien des Common Law. Und genau das macht es in vielen Bereichen deutlich flexibler. Die richterliche Rechtsfortbildung spielt eine größere Rolle, und insgesamt ist einfach mehr Raum für pragmatische, einzelfallbezogene Lösungen.
Das heißt nicht, dass es keine Struktur gäbe – aber die Mischung aus geschriebenem Recht und Fallrecht bringt eine gewisse Dynamik mit sich, die ich im deutschen System manchmal vermisse.
Welche Herausforderungen hast Du auf dem Weg zur Selbstständigkeit erlebt, und wie hast Du diese gemeistert?
Es gibt auf dem Weg in die Selbstständigkeit natürlich eine ganze Reihe von Herausforderungen. Manche liegen auf der Hand – zum Beispiel der finanzielle Aspekt. Besonders dann, wenn man – so wie ich – direkt nach dem Referendariat gründet und noch keine Rücklagen hat.
Aber ganz ehrlich: Das sind Dinge, die sich regeln lassen. Es gibt Fördermöglichkeiten wie den Gründungszuschuss, und mit ein bisschen Organisation, Mut und einem klaren Plan bekommt man das gut in den Griff. Die wirklich fordernden Dinge begegnen einem meiner Meinung nach erst im Berufsalltag. Die meines Erachtens größte Herausforderung? Ganz klar: die alleinige Verantwortung.
In meinem Beruf bedeutet Verantwortung nämlich nicht nur, Fristen zu überwachen oder Schriftsätze ordentlich zu formulieren. Es geht um Menschen. Um Lebensgeschichten. Um Freiheit. Und das wiegt manchmal schwer.
Man muss lernen, mit dieser Verantwortung umzugehen, ohne sich davon erdrücken zu lassen. Für mich war (und ist) das ein Prozess – der einem aber auch unglaublich viel zurückgibt. Denn wenn man merkt, dass die eigene Arbeit wirklich etwas bewegt, bekommt das Ganze eine andere Tiefe und Bedeutung.
Mandanten loben Deine Empathie und Dein Engagement. Wie schaffst Du es, in emotional belastenden Fällen professionell und zugleich mitfühlend zu agieren?
Ich finde, das eine schließt das andere nicht aus. Ich habe in vielen Situationen Mitgefühl mit meinen Mandanten – und auch mit ihren Familien. Auch wenn es sich um Täter handelt. Denn auch sie haben eine Geschichte. Viele sind nicht „einfach so“ zu Tätern geworden, sondern standen unter dem Einfluss äußerer Umstände, sozialer Prägung oder psychischer Belastung. Ich sage immer dazu: Das rechtfertigt natürlich keine Straftat – aber es kann sie in bestimmten Fällen zumindest etwas verständlicher machen.
Die Person und die Geschichte hinter dem Täter zu sehen – und teilweise auch mit ihm zu fühlen – tangiert aber niemals meine Professionalität. Ich halte zu meinen Mandanten stets die nötige professionelle Distanz. Und vor Gericht lasse ich mich von meiner Empathie nicht leiten – mein Auftreten bleibt sachlich, klar und zielgerichtet.
Mitgefühl bedeutet für mich nicht Parteilichkeit, sondern Menschlichkeit im richtigen Maß.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag in Deiner Kanzlei aus?
Einen typischen Arbeitstag? Den gibt es bei mir nicht. Der Beruf lebt von seiner unfassbaren Vielfalt und Schnelllebigkeit. Kein Tag ist wie der andere – und fast jeder bringt irgendeine Überraschung mit sich. Neben den nahezu täglichen Gerichtsterminen gibt es Festnahmen, Durchsuchungen oder kurzfristig eintreffende Unterlagen von Mandanten, die zusätzlich zum „geplanten Tagesgeschehen“ hinzukommen. Irgendetwas ist eigentlich immer.
Wenn ich dann doch mal am Schreibtisch sitze, besteht die Arbeit meist aus dem Anfertigen gerichtlicher Schreiben, dem Lesen von Akten und der Vorbereitung anstehender Termine.
Mein Berufsalltag als Strafverteidigerin ist ein bunter Mix aus Gerichtsterminen, JVA-Besuchen, Mandantengesprächen in der Kanzlei und klassischer Schreibtischarbeit. Er ist unglaublich abwechslungsreich – aber weil feste Routinen fehlen, auch fordernd.
Wie siehst Du die Rolle von Frauen in der Strafverteidigung, und welche Veränderungen wünschst Du Dir in der juristischen Berufswelt?
Der Großteil der Straftäter sind Männer – und es mag durchaus Straftäter geben, die sich ausschließlich von einem männlichen Anwalt vertreten lassen möchten. In solchen Fällen ziehe ich dann natürlich allein aufgrund meines Geschlechts den Kürzeren. Aber ich bin fest davon überzeugt: Sobald mich ein potenzieller Mandant persönlich kennenlernt, ist das Geschlecht kein Thema mehr. Denn was eine gute Strafverteidigerin oder ein guter Strafverteidiger ausmacht, hat meiner Meinung nach rein gar nichts mit dem Geschlecht zu tun – sondern mit Haltung, Kompetenz und Ausstrahlung.
Natürlich sitze ich in größeren Verfahren oft noch mit ausschließlich männlichen Kollegen auf der Verteidigerbank. Aber ich habe das Gefühl, dass sich etwas bewegt. Immer mehr junge Frauen entscheiden sich bewusst für die Strafverteidigung – und das freut mich sehr. Ich hoffe, mein Eindruck täuscht nicht. Und ich wünsche mir, dass künftig viele starke, kluge und ambitionierte Kolleginnen den Weg in diesen Beruf finden – und die über Jahrzehnte männlich geprägte Strafverteidigerlandschaft nach und nach ein bisschen aufmischen.
Welchen ultimativen Karrieretipp hast Du für junge Frauen, die Anwältinnen werden möchten?
Den einen ultimativen Karrieretipp? Den gibt es meines Erachtens nicht.
Aber es gibt etwas, das ich jeder jungen Frau, die Anwältin werden möchte, mit auf den Weg geben will: Glaub an dich und halt an deinen Träumen fest, denn du kannst alles schaffen, was du möchtest. Ich weiß, dass das auf dem steinigen Weg durchs Jurastudium manchmal alles andere als leicht ist – und man zwischendurch den Glauben an sich und die eigenen Fähigkeiten verliert.
Aber genau in diesen Momenten ist es wichtig, dass ihr euch bewusst macht, was ihr könnt und wie weit ihr schon gekommen seid – und euch von niemandem einreden lasst, ihr wärt nicht gemacht für diesen Beruf – erst recht nicht von euch selbst.
Mitgefühl bedeutet für mich nicht Parteilichkeit, sondern Menschlichkeit im richtigen Maß.
Jana Jürgen
Jana Jürgen ist seit 2023 als selbstständige Strafverteidigerin in München tätig. Sie hat Jura studiert und 2019 das Erste Staatsexamen abgelegt. Im Anschluss absolvierte sie ihr LL.M.-Studium an der University of Glasgow in Schottland. Nach dem Referendariat und dem Zweiten Staatsexamen im Jahr 2022 entschied sie sich für die Strafverteidigung – und für den Weg in die Selbstständigkeit.