Karriere im Wirtschaftsstrafrecht: Zwischen Paragrafen & Persönlichkeitsstärke

Eine Karriere im Wirtschaftsstrafrecht beginnt nicht mit einem perfekten Plan, sondern mit Neugier, Mut und der Bereitschaft, eigene Wege zu gehen – auch, wenn sie nicht vorgezeichnet sind.

Welche Eigenschaften und Fähigkeiten sind für eine erfolgreiche Karriere im Wirtschaftsstrafrecht besonders wichtig – und wie können junge Juristinnen diese gezielt entwickeln?

Es ist nicht erforderlich, dass Sie sich schon zu Beginn des 1. Semesters des Jurastudiums aufs Wirtschaftsstrafrecht fokussieren. Ausreichend (aber auch erforderlich 😊) ist es, Spaß an der Lösung komplexer rechtlicher Fragestellungen und die Bereitschaft zu haben, sich in umfangreiches Aktenmaterial einzuarbeiten. Darüber hinaus gilt: Es gibt nicht „das“ Wirtschaftsstrafrecht. Bei wirtschaftstrafrechtlichen Fällen richtet sich zwar das Verfahrensrecht nach strafprozessualen Grundsätzen. Die materiellrechtlichen Fragestellungen stammen dann aber in der Regel aus dem Zivil-oder Steuerrecht. Ihr solltet also auch bereit sein, Euch mit Materien außerhalb des Kernstrafrechts zu befassen.

 

Sie haben beide Seiten des Strafrechts kennengelernt – als Ermittlerin in der Staatsanwaltschaft und nun als Verteidigerin in der Anwaltschaft. Was treibt Sie an, immer wieder neue Wege zu gehen, und wie finden Juristinnen den Mut, unkonventionelle Karriereentscheidungen zu wagen?

Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und suche gerne die Herausforderung. Nachdem ich abseits des Jobs viele Dinge geschafft habe, die ich vorher nie für möglich gehalten hätte, hatte ich das Selbstvertrauen, auch im Beruf nochmal gänzlich neu durchzustarten. Natürlich war die Aufgabe des Beamtenstatus mit seinen vielen Vorzügen kein leichter Schritt für mich. Auch kostet ein Jobwechsel sehr viel Energie und auch Zeit. Das ist nicht zu unterschätzen. Wenn man es dann aber geschafft hat, die Komfortzone zu verlassen, kann man stolz auf sich sein.

Außerdem gibt es nicht „den“ perfekten Karriereweg, denn Menschen sind (zum Glück) individuell unterschiedlich. Deshalb sollte man sich aus meiner Sicht auch nicht ohne Not auf einen bestimmten Karriereweg festlegen (lassen).

 

Ihre Fälle erforderten oft Rund-um-die-Uhr-Einsatz. Was raten Sie jungen Juristinnen, die in Stresssituationen ihre mentale Stärke bewahren wollen?

In der Tat beschäftigt mich der Job seit jeher auch über die normale Arbeitszeit hinaus. In den ersten Berufsjahren als Staatsanwältin, als ich mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Vergewaltigungen zu tun hatte, habe ich nach einer Lösung gesucht, die belastenden Geschehnisse aus den Ermittlungsakten und den Hauptverhandlungen irgendwie auszuschalten, ohne dabei „abzustumpfen“. Mir haben Ausdauersport, Reisen und Musik dabei sehr geholfen. Diese Hobbies und Zeit mit Familie und Freunden helfen mir auch dabei, mit dem Druck umzugehen, der von Wirtschaftsstrafverfahren ausgehen kann. Hierbei sind es die zum Teil sehr komplexen Rechtsfragen, die ich mit „nach Hause“ nehme und die finanziellen Auswirkungen für die Beschuldigten/Mandanten, die mich oft schlecht schlafen lassen. Im Anwaltsleben kommt erschwerend hinzu, dass eine ständige Verfügbarkeit erwartet wird.

 

In vielen Fällen standen Sie im Fokus der Medien. Wie gehen Sie mit dieser öffentlichen Sichtbarkeit um – und welche haben Sie für Juristinnen, die selbstbewusst mit medialer Präsenz umgehen möchten?

Mir hat es in den Zeiten, in denen ich als Staatsanwältin medienwirksame Verfahren geführt habe, sehr geholfen, in meinem privaten Umfeld keinerlei Berührungspunkte zur Staatsanwaltschaft zu haben. Dadurch habe ich die mediale Belastung zumindest abends und am Wochenende ausblenden können. Jungen Juristinnen kann ich den Tipp geben, – sofern verfügbar – externe Hilfe zum Umgang mit medialer Präsenz in Anspruch zu nehmen. Eine solche gab es leider bei der Justiz zu meiner Zeit nicht.

Sowohl in der Staatsanwaltschaft als auch in Wirtschaftskanzleien sind Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert. Wie haben Sie sich in männerdominierten Strukturen positioniert – und welche konkreten Schritte empfehlen Sie Juristinnen, um selbst Führungspositionen zu erreichen und strukturelle Hürden zu überwinden?

Ich war und bin immer ein offener Mensch, der sich nicht verstellt. Auch wenn ich seit Jahren überwiegend mit männlichen Kollegen, Beschuldigten und Mandanten zu tun habe, bin ich nicht dazu übergegangen, feminine Eigenschaften abzulegen. Ich lasse deshalb auch Emotionen zu und trage gerne Kleider, Röcke und Lippenstift im Büro. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass es feminine Frauen nach wie vor schwer haben, in einer Führungsposition ernst genommen zu werden. Solange Frauen in einer Supportrolle oder als Berufseinsteiger tätig sind, werden sie gegenüber Männern nicht benachteiligt. Männer nehmen es aber für sich allein in Anspruch, die Leiter nach oben klettern zu können. In der Justiz und der öffentlichen Verwaltung haben Frauen inzwischen glücklicherweise durchaus die Chance, Führungspositionen einzunehmen, sofern sie in dieser Funktion bereit sind in Vollzeit zu arbeiten. Teilzeitführungspositionen sind leider auch dort Mangelware. In der deutschen Kanzleiwelt ist die Frauenquote auf Partnerebene leider immer noch zu gering. Ein Grund hierfür ist die noch stark ausbaufähige Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die fehlende Akzeptanz der (männlichen) Kollegen, auch mal für eine Stunde oder zwei nicht erreichbar zu sein. Ein anderer Grund ist der Umstand, dass sich Frauen oftmals gar nicht trauen, Karriere zu machen aus Angst, dem Druck nicht gewachsen zu sein. Junge Juristinnen, die eine Karriere in einer Kanzlei anstreben, sollten sich daher frühzeitig mit anderen Frauen austauschen.

 

Gab es eine Entscheidung oder Niederlage in Ihrer Karriere, aus der Sie besonders gelernt haben – und wie transformieren Sie Rückschläge in Stärke?

Ich bin vom Landgericht, bei dem ich bis dahin tätig war, gegen meinen Willen zur Staatsanwaltschaft gekommen. Das hat mich zunächst sehr getroffen. Mittel- und langfristig war es aber ein Glück des Himmels. Ich habe daraus gelernt, dass auch negative Ereignisse für etwas gut sind.

 

Welche Erfahrungen aus Ihrer Zeit als Staatsanwältin bzw. als Delegierte Europäische Staatsanwältin prägen heute Ihre Arbeit als assoziierte Partnerin in einer Großkanzlei?

Ich habe gelernt, große Verfahren zu koordinieren und mich selbst zu organisieren. Darüber war ich auf die Zusammenarbeit mit Polizei, Steuerfahndung und Zoll angewiesen. Die Ermittlungsbehörden waren personell und technisch zum Teil nicht gut ausgestattet. Ich habe gelernt, dass es nichts bringt, sich darüber aufzuregen. Erfolgreich kann nur sein, wer mit den vorhandenen Mitteln das Beste rausholt. Deshalb war es mir immer wichtig, Kollegen Wertschätzung entgegenzubringen. Davon profitiere ich jetzt auch noch.

 

Haben Sie noch einen Herzens-Tipp für junge Juristinnen, den Sie gerne teilen möchten?

Hören Sie auf sich selbst. Es gibt neben Plan A immer noch Plan B.

Hören Sie auf sich selbst. Es gibt neben Plan A immer noch Plan B.

Dr. Anna Krause-Ablaß

Dr. Anna Krause-Ablaß ist Rechtsanwältin und Assoziierte Partnerin bei Flick Gocke Schaumburg im Bereich Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Zuvor war sie 14 Jahre Staatsanwältin, davon 3 Jahre als Delegierte Europäische Staatsanwältin für die Europäische Staatsanwaltschaft tätig.